Co-Abhängigkeit

Ursprünglich wurde der Begriff ‚Co-Abhängigkeit’ nur bei Angehörigen von Alkoholikern verwendet, und zwar aufgrund ihrer Fähigkeit, Misshandlungen, Vernachlässigungen; Missachtungen und finanzielle Schwierigkeiten auszuhalten, die bei einem durch Alkoholkrankheit geprägten Lebensstil unabänderlich auftreten. Man ging davon aus, dass die Angehörigen von Alkoholikern abhängig sind, ohne selbst zu trinken.

Co-Abhängigkeit wird heute erweitert angewendet. In allen Selbsthilfegruppen, die mit dem ‚12-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker’ arbeiten und der deutschen Fachliteratur wird der Begriff Co-Abhängigkeit verwendet.

Es beschreibt Personen, die

  1. in gestörten Familiensystemen aufgewachsen sind,
  2. Angehörige von sucht- und psychisch kranken Menschen oder
  3. Menschen, die in für sie unbefriedigenden Beziehungen bleiben, obwohl sie das selbst nicht verstehen.

Co-Abhängigkeit wurde und wird in die Behandlung von suchtkranken Personen oft nicht mit einbezogen, nicht als Krankheit wahrgenommen. Ein Grund dafür liegt meines Erachtens in den Merkmalen dieser Abhängigkeit.

Co-Abhängige haben Verhaltensweisen, die in unserer Gesellschaft gefördert und belohnt werden (vgl. Wilson-Schaef, 1994a, S. 36) Sie sind stets hilfsbereit, sagen niemals ‚Nein’, tun alles, um ihre Mitmenschen zufriedenzustellen, sind immer freundlich, ehrgeizig, diszipliniert und perfektionistisch.

Dies sind nur einige Verhaltensmerkmale, wodurch sich co-abhängige Personen auszeichnen. Sie sind meistens in sozialen Berufen tätig und/oder üben beratende Tätigkeiten aus. An erster Stelle stehen für Co-Abhängige scheinbar die Hilfe und Unterstützung für andere. Warum sollte man also dieses als Krankheit begreifen?

Das Problem liegt darin, dass die Co-Abhängigen sich, ähnlich wie ein Alkoholiker, auf diese Weise verhalten, um etwas Bestimmtes zu verdecken, nämlich, dass sie nicht in der Lage sind, sich die Anerkennung aus ihrem eigenen Tun zu holen. Sie sind abhängig von der Wertschätzung durch andere Personen. Dies ist das Ziel, für das sie vieles zu tun bereit sind.

Diese Wertschätzung holt sich eine co-abhängige Person z. B. durch die Übernahme von Verantwortung für andere Menschen, möglichst hilfloser. Je mehr Verantwortung zu übernehmen ist, desto größer ist ihr Selbstwert, oder desto geringer das Gefühl innerer Leere.

Wie bei jeder Abhängigkeit, merkt auch die co-abhängige Person irgendwann, dass die ‚Belohnung’ nicht auseicht, um ihr Bedürfnis nach Wertschätzung zu füllen. Da die Person süchtig ist, handelt sie nach dem Motto ‚mehr davon’, also verstärkt ihre Bemühungen von außen zu bekommen, was innen nicht ist.

Sie sind ständig dabei ihre Mitmenschen zu unterstützen, sich für sie einzusetzen. So schaffen sie es immer wieder, neue Abhängigkeiten herzustellen. Sie machen sich abhängig von den anderen Personen und umgekehrt, fühlen sich unentbehrlich und brauchen dieses Gefühl um weitermachen zu können.

Die Erlaubnis sich auszuruhen haben sie erst, wenn sei körperlich krank werden. Krankheiten, wie nervöses Magenleiden, Rückschmerzen, grippale Infekte, Herzstörungen und selbst Krebs sind typische Krankheitsbilder für Co-Abhängige. Das Ausleben von Co-Abhängigkeit ist eine Krankheit, die wie jede unbehandelte Krankheit zum Tode führt. In alkoholkranken Familien ist zu beobachten, dass meistens der co-abhängige Partner vor dem noch trinkenden Alkoholiker stirbt (vgl. Wilson-Schaef, 1994b, S. 67).

Die Zusammenhänge zwischen dem co-abhängigen Verhalten und den sich daraus ergebenen Krankheiten werden selten von Ärzten erkannt und somit nicht behandelt. Es nützt auch bei co-abhängigen Personen nichts, lediglich das körperlich sichtbare Krankheitssymptom zu behandeln. Wie bei suchtkranken Personen ist hier eine grundlegende Verhaltensänderung nötig. Die Schwierigkeit einer Verhaltensänderung besteht meines Erachtens darin, dass wir in einer Gesellschaft leben, die es uns sehr leicht macht, diese kranken Verhaltensweisen zu praktizieren.

zurück